Vorsicht Terror!

Der Terrorismus zieht wieder durch die Medien und erfüllt seinen Zweck: Furcht verbreiten. Des weiteren zieht er natürlich auch die gewohnten Novellierungen unserer bestehenden Sicherheitsgesetze nach sich, die von den verängstigten Bürgern und Abgeordneten auch dankbar aufgenommen werden.

Die Attentate von Paris am 7. Januar 2015 haben die Weltöffentlichkeit schockiert und zogen weltweit die „Je suis Charlie“-Solidaritätskundgebungen nach sich. Es war bewegend zu sehen, wie Massen auf die Straßen gingen, um sich für Meinungs- und Pressefreiheit einzusetzen. Auch die Mächtigen dieser Welt gingen medienwirksam, Arm in Arm auf die Straße, um ihre Betroffenheit zu demonstrieren. Die beißende Ironie geflissentlich ignorierend, die darin liegt, wenn jemand wie Viktor Orbán für Meinungsfreiheit demonstriert. Etwas das ihm im eigenen Land nicht so wichtig erscheint. Warum überhaupt den NATO-Generalsekretär einladen? Was hat Präsident Petro Proschenko veranlasst bei dieser Demonstration teilzunehmen? Wer hätte gedacht, dass der ukrainische Präsident für 12 Menschenleben überhaupt vor die Tür geht?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass solche Tragödien politisch instrumentalisiert werden. Willfährig steht hier unsere Medienöffentlichkeit sekundierend zur Seite. Man gibt die vagen Warnungen über erhöhte Terrorgefahr gerne weiter an die Leser oder Zuschauer, ohne sich die Mühe zu machen nach Beweisen zu fragen. Auch dass hier bewusst Feindbilder erzeugt werden scheint offensichtlich, wenn man bedenkt, dass bei der Berichterstattung die Gefahr von islamistischen Terror überzogen wird. 2013 wurden in Europa 152 Terroranschläge durchgeführt, mehr als 60% von separatistischen Terrorgruppen in Frankreich, Spanien und Griechenland[1]. Trotzdem bricht niemand in Panik aus, wenn jemand mit Baskenmütze ein Flugzeug besteigt. Es vergeht kaum ein Tag, indem nicht in irgendeiner Form von Terrorismus berichtet und stets der Bezug zum Islam hergestellt wird. Dies spiegelt in keiner Weise seine gesellschaftliche Relevanz wieder, da es in Europa sicherlich dringlichere, zur Diskussion stehende Probleme gibt.

Staatsterrorismus

Es stellt sich die Frage, ob der größte Terror überhaupt von Einzelpersonen oder Gruppen ausgeht. Ist nicht der Staatsterrorismus der Ursprung der schlimmsten Gräueltaten unserer Zeit? Insoweit erscheint es mehr als befremdlich, dass die Politik sich die sog. „westlichen Werte“ auf die Fahnen schreibt, sobald sie wieder in den Krieg zieht. In Anbetracht dessen, wie solche Kriege geführt werden, muss man fragen: „Welche Werte?“

Offensichtlich ist der Terror zur Standartrechtfertigung für jegliche Willkür in Innen- und Außenpolitik erhoben worden. Entstanden ist ein gemeinschaftlicher Blindflug, indem kein Ziel mehr erkennbar scheint, außer der Ausweitung der Befugnisse gegenüber dem eigenen Volk und der Ausweitung von geostrategischen Einflusssphären. Die militärischen Einsätze in Afghanistan, Libyen oder vor der Küste Somalias sind durch knallharte, geopolitische Interessen geleitet. Der „Krieg gegen den Terror“ ist hier nur vorgeschoben und nicht glaubhaftere (Kriegs-)Propaganda als Brunnenbauen für afghanische Bauern. So gesehen sollte man den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler für seine relativ deutlichen Worte danken, als er wirtschaftliche Interessen als Beweggründe für Auslandseinsätze klar benannte[2].

Es ist verständlich, wenn aus Sicht muslimischer Menschen die Überzeugung entsteht, dass ein Kreuzzug gegen ihre Religion und Kultur geführt wird. Das entspricht natürlich nicht der Wahrheit, schließlich ist es schwer vorstellbar, dass die NATO-Strategen sich für die Religionszugehörigkeit ihrer Opfer wirklich interessierten. Dass dieser Eindruck entstehen könnte scheint aber auch nicht wirklich zu stören, da er den gewünschten Effekt der „wir“ und „die“-Wahrnehmung nur weiter befeuert. Wenn die USA ihre Folterpraxis mit dem Kampf gegen Terrorismus rechtfertigen, scheint auch nicht weiter zu stören, dass der Dschihadismus dadurch erst richtig Zulauf gekriegt hat. Kein Wunder, dass es nicht einfach ist Aufnahmeländer für ehemalige Guantanamo-Häftlinge zu finden. Man weiß nicht wer da verhaftet wurde, aber freigekommen sind wahrscheinlich Menschen, die man wohl nicht mehr von der Großartigkeit westlicher Demokratien überzeugen kann.

Nun sehen wir anhand des CIA-Folterberichts, der zähneknirschend veröffentlicht wurde, die Bemühungen, solche Vorkommnisse als Ausnahmen zu deklarieren. Von Merkels Regierungssprecher Seibert war nur zu hören, dass zu diesem Thema schon alles gesagt sei[3]. Bundespräsident Gauck, der zuvor noch die Menschenrechte als Legitimation für die neue deutsche Verantwortung heranzog, schwieg gleich gänzlich. Allerdings ist der Staatsterrorismus in Form von Repression und Folter schon immer ein Teil der Geschichte der westlichen, zivilisierten Welt.

Kolonialismus

Der Kolonialismus der Europäer hat bei der Eroberung der amerikanischen Kontinente zwischen 75 und 95 Millionen Menschenleben gekostet. Überall auf der Welt wurde die indigene Bevölkerung durch westliche Kolonialherren unterdrückt, ausgebeutet und vernichtet. Der erste deutsche Genozid folgte 1904 auf den Vernichtungsbefehl von General Lothar von Trotha, dem im heutigen Namibia 65 000 bis 85 000 Herero und 10 000 Nam das Leben kostete[4]. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden unter dem schrecklichen Eindruck der von den Nazis begangen Barbarei, die Holocaust, Massenmord und Kriegsverbrechen, Folter und Menschenversuche umfasste, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet.

Nach der Besatzung durch Nazideutschland begann Frankreich sofort, Indochina und Algerien zurückzuerobern. Hierbei hatten sich die französischen Besatzer systematisch der Folter bedient, wie Le monde diplomatique 2001 im Zuge der Aufarbeitung der Kolonialzeit berichtet[5]. Die Methoden umfassten Nahrungsentzug, Wasserentzug, Stockschläge, Schraubzwingen, die an den Schläfen angebracht wurden und Nadeln die unter die Fingernägel geschoben wurden.

Vietnam

Nach dem Sieg von Điện Biên Phủ hatte Vietnam seine Unabhängigkeit vorübergehend wiedererlangt, bis das kleine Land in einen Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und den USA gezogen wurde. Als dann allerdings 1965 die USA selbst intervenierte, sollte das innerhalb der nächsten zehn Jahre vier Millionen Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha das Leben kosten. Über diesen Ländern wurden bekanntlich mehr Bomben abgeworfen als im zweiten Weltkrieg über allen Kriegsschauplätzen zusammen, wovon natürlich vor allem die Zivilbevölkerung betroffen war. Besonders erbarmungslos war hierbei der Einsatz von Napalm und dem Entlaubungsmittel Agent Orange, welches noch heute bei Neugeborenen zu schweren Missbildungen führt. Die USA leugnen noch heute jegliche Verantwortung für die Folgeschäden, egal ob bei Vietnamesen oder den eigenen Leuten. Die Tet-Offensive zog von Seiten der Amerikaner eine völlige Entgrenzung des Konflikts nach sich, deren berühmtestes Beispiel wohl das Massaker von May Lai am 16. März 1968 war, bei der 504 Vietnamesinnen und Vietnamesen abgeschlachtet wurden. Gerade einmal drei von ihnen hätten als junge Männer gegnerische Kämpfer sein können, nur einer war nachweislich bewaffnet. Unter dem Codenamen Operation Phoenix wurde schließlich von der CIA ein Folter- und Mordprogramm gestartet und über das ganze Land verteilt geheime Foltergefängnisse errichtet. Die Verdächtigen, und das konnte so ziemlich jeder sein, wurden in winzige Käfige gesperrt, den sog. tiger cages, oder bekamen beim Verhör einen circa 15 cm langen Holzpflock in den Gehörgang getrieben. Eine Praxis von der der ehemalige Offizier Barton sagt, dass sie keiner überlebt hätte[6].

Abu Ghraib

In der jüngeren Vergangenheit erfuhr die Welt von den Machenschaften des amerikanischen Militärs und Geheimdienstes mit den Veröffentlichungen der Bilder von Abu Ghraib. Während der amerikanischen Besatzung des Iraks wurden in diesem Foltergefängnis die Insassen misshandelt, vergewaltigt und gefoltert. Die Gefangenen wurden teilweise zu Tode geprügelt, obwohl sich später heraus stellte, dass circa 90% der Inhaftierten völlig unschuldig waren und sich lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort befanden, wie ein General später einräumte[7]. Inzwischen wissen wir, dass die USA geheime Foltergefängnisse über den ganzen Globus verteilt unterhalten und dass sie mit Unterstützung von den Partnerdiensten ihrer Bündnispartner Menschen überall auf der Welt entführten, um ihnen ihre „besonderen Verhörpraktiken“ angedeihen zu lassen.

Selbstverständlich hat keines dieser vielen Opfer systematischer, staatlicher Gewalt einen Richter gesehen, einen fairen Prozess erhalten oder irgendeine Form von Gerechtigkeit erfahren. In Wahrheit scheint über die meisten dieser namenlosen, vergessenen Opfer das Schicksal mit erbarmungsloser Willkür herein gebrochen zu sein. Wer also möchte glauben, der Schrecken des Terrors trägt das Gesicht eines muslimischen Fanatikers, wie unsere Medienlandschaft und unsere Politiker uns glauben machen wollen? Unter welchen gemeinsamen Werten wollen „wir“ Deutsche, Europäer oder Mitglieder einer westlichen „Wertegemeinschaft“ uns eigentlich zusammenfassen? Es erscheint schon statistisch gesehen wahrscheinlicher, Opfer extremer staatlicher Gewalt zu werden, als von den Handlungen verwirrter Einzeltäter. Die Realität zeigt, dass diese Werte der Aufklärung, wie zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, wenn sie von den mächtigen dieser Welt verwendet werden, nur zu sinnentleerten Phrasen verkommen.

Quellen:

[1] http://www.nachdenkseiten.de/?p=25067; aufgerufen am 25.02.2015

[2] http://www.fr-online.de/politik/aerger-um-koehler-aeusserungen-das-boese-wort-vom- wirtschaftskrieg,1472596,4436262.html; aufgerufen am 25.02.2015

[3] http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/01/2015-01-05-regpk.html; aufgerufen am 25.02.2015

[4] Dominik J. Schaller, Kolonialkrieg und Völkermord in «Deutsch-Südwestafrika» 1904–1907, Journal of Genocide Research. 6:3, S. 398

[5] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2001/06/15/a0023.text.name,asktEJcgp.n,9; aufgerufen am 25.02.2015

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Phoenix; aufgerufen am 25.02.2015

[7] http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41786; aufgerufen am 25.02.2015